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Der Beitrag ist in der IFIGENIE 3/2011 erschienen.

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Bestandteil des Ortes werden

Seit nunmehr einem Jahr arbeitet die neue Heilpädagogische Wohngruppe der IFI Kinderheim Leer gGmbH in Strücklingen. Hausleiterin Hilla Gesenhaus schildert, wie Leben und Arbeiten sich dort gestalten.

 

Mit diesem Artikel möchte ich die neue Heilpädagogische Wohngruppe „Strukelje“ vorstellen und unsere inhaltliche Ausrichtung näher beschreiben. „Strukelje“ ist der saterfriesische Name für Strücklingen. Wir haben unsere Heilpädagogische Wohngruppe bewusst „Strukelje“ genannt, denn wir haben vor, ein fester Bestandteil des Ortes zu werden.

 

Das Haus und die Kinder

Wir bewohnen ein großes, weißes Haus mit mehr als 300 Quadratmetern Wohnfläche und freuen uns über ein großzügiges Grundstück u.a. mit Sommerhäuschen, Wiese und Hofgelände. Unser Haus liegt im Ortskern von Strücklingen in einer ruhigen Nebenstraße, umgeben von hübschen Einfamilienhäusern und freundlichen und aufgeschlossenen Nachbarn. Den Kindern und Jugendlichen stehen helle, freundliche Wohn- und Gemeinschaftsräume zur Verfügung, die zum Verweilen einladen. Sie haben die Möglichkeit, im Haus und auf dem Grundstück verschiedensten Aktivitäten nachzugehen wie Malen, Werken, Spielen, Toben. Auch für Entspannungsecken ist gesorgt.

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In unsere Heilpädagogische Wohngruppe nehmen wir Kinder beider Geschlechter im Alter von acht bis zwölf Jahren auf (Ausnahmen sind nach Absprache möglich), bei denen die Ressourcen der Herkunftsfamilie und des sozialen Umfeldes nicht ausreichen, um sie adäquat zu erziehen und zu fördern. Es handelt sich im Besonderen um Kinder mit

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  • Entwicklungsstörungen

  • Teilleistungsstörungen

  • Verhaltens- und emotionalen Störungen

  • reaktiven Störungen z. B. aufgrund familiärer Belastungen

  • Störungen im Bereich der Intelligenz sowie des Sozial-, Arbeits- und Leistungsverhaltens

  • Störungen im Umfeld jugendpsychiatrischer Krankheitsbilder

  • Gewalt- und Missbrauchserfahrungen.

 

Heilpädagogik - was ist das?

Das Wort „Heil“ wird vom Berufs- und Fachverband Heilpädagogik e.V. als „ganzheitlich“ verstanden und beschreibt damit auch die pädagogische Zielsetzung der Heilpädagogik.  Die Basis unserer Arbeit ist es daher, das Kind bzw. den Jugendlichen als Ganzes zu betrachten – als unauflösliche Einheit der körperlichen, seelischen, geistigen und sozialen Dimensionen. Ziele der Heilpädagogik sind Normalisierung, soziale Integration/Inklusion, Selbstbestimmung sowie Befähigung und Ermächtigung des Individuums.

Insbesondere soll der Lernprozess der Kinder und Jugendlichen in der heilpädagogischen Wohngruppe Berücksichtigung finden, um so die soziale Integration und Kompetenz der Kinder und Jugendlichen zu stärken. Lernen als hochkomplexer Prozess soll in der Wurzel erkannt und individuell gefördert werden.

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Da viele der Kinder und Jugendlichen unter Lernschwierigkeiten als äußeres Symptom ihrer verzögerten und/oder beeinträchtigten Entwicklung leiden, finden diese in der heilpädagogischen Betreuung besondere Beachtung. Die sensorische Integration wird bei den Kindern und Jugendlichen nachhaltig gefördert und gestärkt, sodass bisherige Lernmisserfolge durch positive Erfahrungen ersetzt werden können.

Respekt und Achtung anderen gegenüber ist nur möglich, wenn die Kinder und Jugendlichen ein Gefühl für die eigene Persönlichkeit und Individualität entwickeln und lernen, sich selber wahr- und ernst zu nehmen. Selbstwahrnehmung, Entwicklung eines Körpergefühls und Orientierung an den individuellen Stärken sind nur einige der Teilziele in unserer heilpädagogischen Arbeit, die wir mal dezent, mal deutlicher im Alltag umsetzen.

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Auf dem Weg in die Selbstständigkeit kommen der Vergangenheitsbewältigung und der Akzeptanz der eigenen Geschichte eine große Bedeutung zu. Die individuelle Auseinandersetzung der Kinder mit diesen Themen wird von uns begleitet, um mit dem einzelnen eigene Perspektiven zu entwickeln. Dieses nehmen die Kinder und Jugendlichen im Rahmen ihrer Biographiearbeit unter anderem mit Lebenslauf, Fotobuch und Tagebuch gerne an.

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Um gemäß der übergeordneten Zielsetzung heilpädagogischen Handelns zur Verwirklichung personaler und sozialer Integration/Inklusion von Menschen mit Behinderungen und Entwicklungsbeeinträchtigungen beizutragen, werden in unserer Wohngruppe heilpädagogische, das heißt unter anderem alltags-, prozess- und lerntheoretisch orientierte und aus system-konstruktivistischer  Sicht abgeleitete Handlungskonzepte eingesetzt. Diese integrieren Diagnostik, Indikation, Umsetzung und Evaluation von Maßnahmen und Methoden der Förderung, Erziehung, Bildung, Beratung und Begleitung unserer Kinder in ihrem jeweiligen psychosozialen Bezugsfeld. Dabei sind ständige Reflexion und gemeinsame Beratung aller Beteiligten wesentliche Bestandteile unseres heilpädagogischen Handelns.

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Besonderer Wert wird in unserem Haus auch auf Ressourcen- und Lösungsorientierung gelegt. Dies bedeutet, dass die Wertschätzung der Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen im Vordergrund steht. Sie wird beispielsweise über die verbindliche Arbeit mit Fähigkeitskarten, Sonnentagebuch und Sternenliste in den Alltag eingebaut.

Heilpädagogische Diagnostik umfasst Wahrnehmen, Verstehen/Erklären und Handeln; sie ist einzelfallbezogene Förderdiagnostik. Den Person-Umfeld-Bezügen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

Heilpädagogische Bestandteile werden in das pädagogische Handeln integriert Methoden des Modelllernens, Erfahrungslernens, Lernens durch Einsicht, der Verstärkung und des Kennenlernens logischer Konsequenzen sind in den Alltag eingebunden.

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Neben den gezielten alltäglichen Impulsen findet heilpädagogisches Handeln auch in Einzel- und Gruppenarbeit statt. Es integriert, je nach persönlichem Schwerpunkt, unter anderem folgende heilpädagogisch anzuwendende Methoden:

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  • Sensorisch-integrative Wahrnehmungsförderung,

  • basalpädagogische Aktivierung/Förderpflege,

  • Spielförderung/Spieltherapie

  • heilpädagogische Übungsbehandlung,

  • Verhaltensmodifikation,

  • Psychomotorik,

  • Rhythmik, Werken, Gestalten,  Musizieren, heilpädagogisches Reiten, Voltigieren,

  • Sprach- und Kommunikationsförderung.

 

Über Verblüffung, Spiegeln, paradoxe Interventionen, Rollenspiel etc. wird zum Teil unter Einbeziehung der Gruppe als Lernfeld und Schonraum versucht, Verhaltensänderungen zu ermöglichen. Zur Stärkung der eigenen Ressourcen sind Angebote zur Förderung der Konzentration, Ausdauer, Erweiterung der Frustrationstoleranz und Sinneswahrnehmung in den Alltag integriert. Sie finden im Rahmen vieler Einzel- und Gruppenaktivitäten statt, die mal mehr sportlich, mal bewegungsorientiert, naturerfahrend, handwerklich, kreativ, musisch oder kulturell bildend sind.

Wir erleben in unserer Arbeit, wie wichtig und hilfreich es für die Kinder und Jugendlichen ist, einen klar strukturierten Tagesablauf und festgelegte Regeln zu haben. Diese erarbeiten und überprüfen wir mit den Kindern; so üben diese die Übernahme von Mitverantwortung, kooperatives Verhalten, konstruktive Problemlösungen, und sie erlernen Selbstbestimmung.

Uns ist in unserem Haus ein respektvoller Umgang miteinander wichtig, der eine gegenseitige Achtung des anderen beinhaltet. Dieses üben wir unter anderem im Alltag mit den Kindern und Jugendlichen, indem wir sie dazu anhalten, miteinander respektvoll umzugehen, Gesten und Ausdrücke von ihnen aufgreifen und daran ihre Art des Umganges miteinander spiegeln.

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Gewaltfreie Wohnbereiche bieten sowohl Schutz wie auch offene Übungszonen für ein friedliches Miteinander.                

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