Der Beitrag ist in der IFIGENIE 1/2015 erschienen.
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Stabile Lösung
Eigentlich war die Eröffnung der Mutter-Kind-Clearingstelle der IFI Kinderheim Leer gGmbH etwas anders geplant – doch im August stellte sich heraus: Auch in kaltem Wasser schwimmt es sich gut. Das Team des Mutter-Kind-Clearings berichtet.
Am 1. August vergangenen Jahres starteten wir aufgrund einer Anfrage eines Jugendamtes. Eigentlich zu früh, denn unser Haus musste doch erst noch renoviert werden; der Einzug war für frühestens Oktober geplant! Zum Glück gab es schon die große Wohnung, die eigentlich für eine ambulante Betreuung von mehreren jungen Müttern mit Kind(ern) vorgesehen war, und die eine Einzelbewilligung des Landesamtes rechtfertigte.
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Die Wohnung befindet sich direkt in der Innenstadt in einem Mehrfamilienhaus am Hafen – die Fußgängerzone auf der einen Seite und der Hafenbereich mit Spielplatz auf der anderen.
Hier arbeiten wir, bis das eigentlich geplante Haus, das nur etwa zehn Gehminuten entfernt ist, im Winter 2014 fertig renoviert ist. Dort werden dann auch insgesamt sechs Plätze zu belegen sein.
Konzept und Zielgruppe
Im Mutter–Kind–Clearing werden junge Mütter oder schwangere Frauen aufgenommen, die noch nicht in der Lage sind, sich ohne Unterstützung um ihr Kind/ ihre Kinder zu kümmern. Im Rahmen eines professionellen Clearings wird erarbeitet, welche Hilfeform und Lebensperspektive für Mutter und Kind eine langfristige stabile Lösung bietet. Rechtsgrundlage für die Unterbringung bilden die §§ 19, 34 und 41 SGB VIII (KJHG); in Ausnahmefällen können auch Aufnahmen nach § 35a SGB VIII erfolgen.
Oberstes Ziel ist die Beantwortung der Frage, mit welcher Hilfestellung ein dauerhaftes Zusammenleben von Mutter und Kind möglich ist. Während der Unterbringung werden dazu auch grundlegende und alltagspädagogische Ziele verfolgt: Die Schwangere/junge Mutter wird zu einer eigenständigen Lebensführung und adäquaten Versorgung ihres Kindes/ihrer Kinder hingeleitet. Des Weiteren besteht die Möglichkeit der anschließenden ambulanten Betreuung der zusammengeführten Familie, damit die Lernerfolge und Entwicklungen langfristig stabilisiert werden.
Die Gruppe bietet, nach dem Umzug ins Haus, bis zu sechs Plätze (Mutter und Kind werden hierbei einzeln gezählt). Diese können flexibel belegt werden, beispielsweise von einer jungen Mutter mit mehreren kleinen Kindern, von drei Müttern mit jeweils einem Kind oder von bis zu drei Schwangeren.
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Grundlage für eine Aufnahme ist die Bereitschaft der Mutter, in diesem Kontext zu lernen, mit ihrem Kind zusammenzuleben. Dies bedeutet auch, dass eigene Freiräume zunächst zurückgestellt werden müssen. Wir arbeiten transparent und offen mit gemeinsamer und auf die individuellen Bedürfnisse der Mütter und den Kindern erarbeiteten Zielplanung. Dabei ist die Achtung und Wertschätzung im Umgang mit der Einzigartigkeit des Menschen für das Team Grundvoraussetzung.
Durch kreative Angebote können die Mütter ihre emotionalen Stimmungsbilder verarbeiten. Ein Angebot zum Beispiel ist eine „Herzdose“ zu gestalten, die dann mit Dingen befüllt werden kann die das „Herz“ bewegt, betrifft und beschützt.
Erste Praxiserfahrungen
In der bisherigen Praxis ging es bzgl. Mutter und Kind zum einen um die Umsetzung der grundlegenden und alltäglichen Ziele und Aufgaben: Gesunde, auf die speziellen Bedürfnisse abgestimmte Ernährung, die sinnvolle Strukturierung des Alltags, Zeitplanung, die Umsetzung von Haushaltsaufgaben, das Erkennen und Erfüllen der kindlichen Bedürfnisse. Daneben eigene Bedürfnisse erfüllen zu können, war oftmals eine große Herausforderung an die junge Mutter.
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Dabei wurde die Erstellung und Einhaltung eines alltagstauglichen Strukturplanes für die eigene innere Sicherheit der Mutter notwendig.
Den Blick beziehungsweise das Gefühl dafür zu bekommen, was das Kind braucht, wenn es schreit, brachte die Mutter oft an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit. Hier war und ist das Team gefordert, viel Motivationsunterstützung zu bieten, damit die Mutter die Situationen positiv meistert. Als Motto wurde der Satz bedeutsam: Die Kunst ist es, das Bedürfnis meines Babys zu kennen, bevor es schreit.
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Neben der Alltagsstrukturplanung sind Themen wie
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Entwicklungsschritte meines Babys
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Eigene Freizeitgestaltung
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Gesundheitsvor- und Fürsorge
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Paarbeziehung
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Weitere Lebensplanung
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von großer Bedeutung. Die Planung wird immer individuell mit den Müttern abgestimmt und nach den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Mütter umgesetzt.
Väter
Wir sind zwar zunächst eine Mutter-Kind-Einrichtung, dies bedeutet jedoch nicht, dass die Väter nicht mit eingebunden werden können. Väter haben unabhängig vom Sorgerechtsstatus ein Recht auf Umgang, da Kinder das Recht auf beide Eltern haben. Wir haben bisher das Glück, dass der Vater verantwortungsvoll mit in die Planung einbezogen werden will.
Das Team
Die erste große Aufgabe bestand darin, unterschiedliche Mitarbeiterinnen in kürzester Zeit zu einem Team zusammenzuführen. Die hohe Motivation und das große Engagement der Mitarbeiterinnen führten zu einem tragfähigen und arbeitsfähigen Team. Dieses besteht aus Christin Pasie, Martina Jürgensmeier, Janine Leggeri, Julia Wallenstein und Sarah Ideus. Die Mitarbeiterinnen bringen ihre unterschiedlichen Ausbildungen und Lebenserfahrungen aktiv in die Arbeit ein. Die Funktion der Hausleitung wird noch kommissarisch ausgefüllt.
„Meine Tochter ist mein Halt“
Eine junge Mutter äußert sich im Gespräch mit der ifigenie über ihren Aufenthalt im Mutter-Kind-Clearing der IFI Kinderheim Leer gGmbH.
IFIGENIE: Was war der Grund Deiner Aufnahme?
Das war die Besorgnis des Jugendamtes, dass meine Tochter bei mir nicht gut versorgt und aufgehoben wäre. Vorsichtig sind sie, da ich in einem Substitutionsprogramm stecke und wieder rückfällig werden könnte. Es geht ihnen um das Wohl meiner Tochter.
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IFIGENIE: Wie war Dein Gefühl anfangs, als Du zu uns in die Einrichtung kamst?
Ich fühlte mich fehl am Platz. Ich hatte das Gefühl, für meine Tochter und mich sorgen zu können, doch das wollte keiner verstehen. Das Jugendamt schickte mich zuvor schon in zwei Pflegefamilien und anschließend hierher. Durch die vielen Umzüge und neuen Situationen ging es mir schlechter, und auch meine Beziehung zum Vater meines Kindes wurde stark auf die Probe gestellt. Egal was ich mit meiner Tochter machte, ich fühlte mich sehr beobachtet und wollte alles richtig machen. Ich dachte mir, wenn ich versuche, alles richtig zu machen, umso schneller komme ich hier raus. Doch das war anders. Ich stand unter Druck und das hat man mir angemerkt. Alle Menschen um mich herum, sei es das Jugendamt oder die Mitarbeiterinnen hier haben mir gut zugeredet und wollten helfen, trotz dass sie mich und meine Situation gar nicht kannten.
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IFIGENIE: Wie ging es dann gefühlsmäßig bei Dir weiter?
Langsam habe ich mich an die Einrichtung und die Situation gewöhnt. Ich versuchte mich zu arrangieren und nutzte die Zeit hier, um Bedürfnisse und Auseinandersetzungen mit Problemen zu lernen. Auch Regeln und Strukturen sowie regelmäßiges Essen wurden mir bewusst und vertraut.
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IFIGENIE: Was gefällt Dir denn besonders gut?
Besonders gut gefällt mir hier, dass auf meine Wünsche und Bedürfnisse weitestgehend eingegangen wird. Die Mitarbeiterinnen nehmen mich so, wie ich bin. Klar gibt es Dinge, bei denen ich auch mal umgestimmt werde, aber man lernt ja nur dazu, und gerade beim ersten Kind ist es nun mal alles ganz neu. Klasse finde ich, dass mein Verlobter, der Vater meiner Tochter, direkt mit eingebunden wurde. So wächst meine Tochter mit beiden Elternteilen auf.
Auch die Wohnung ist sehr schön. Die Lage ist sehr gut, wenn man schnell etwas benötigt, ist man direkt in der Stadt und kann es besorgen. Ich wünsche mir, ich würde hier mit meinem Partner und meiner Tochter alleine wohnen.
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IFIGENIE: Was sind Deine nächsten Ziele?
Eines meiner nächsten Ziele ist auf jeden Fall die mobile Betreuung. So kann ich nämlich mit meinem Partner und meiner Tochter ganz familiär zusammen leben. Es fühlt sich dann endlich wie ein eigenes Familienleben an, und darauf freue ich mich sehr. Außerdem ist es mir wichtig, für mein Kind eine gute Mutter zu sein. Zudem würde ich gerne eine Ausbildung sowie einen Führerschein machen und ein drogenfreies Leben führen. Manchmal ist der Gedanke da, einfach aufzugeben. Der Grund dafür liegt darin, dass um mich herum noch zu viele Probleme sind (Schulden, Stress in der Partnerschaft durch die momentane Situation). Doch meine Tochter ist mein Halt warum ich nicht aufgebe. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie in eine Pflegefamilie käme.
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IFIGENIE: Wie fühlst Du Dich momentan?
Phasenweise schlecht, jedoch generell gut. Zu den Mitarbeiterinnen habe ich ein gutes Verhältnis. Ich kann mich mit ihnen gut unterhalten und ihnen vertrauen. Sie geben mir Verständnis für meine Situation und helfen mir, einen besseren Weg zu finden. Wenn es mir schlecht geht, ist immer jemand da, um mich abzulenken und aufzubauen.
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Das Interview führte Janine Leggeri, FI Kinderheim Leer gGmbH