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Der Beitrag ist in der IFIGENIE 2/2016 erschienen.

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„Fühlen uns pudelwohl“

Wie betrachtet ein Nachbar seine Nachbarschaft zu einer stationären Einrichtung der Heimerziehung? Für die ifigenie berichtet der frühere Geschäftsleiter des Amtsgerichtes Leer, Bernt Amelsberg, von seinen Erfahrungen. Er lebt mit seiner Frau in Leer neben der Kinderhilfsstelle (jetzt "Lütje Tohuus") der IFI Kinderheim Leer gGmbH.

 

Wir leben schon seit 1973 in der Focko-Ukena-Straße. In unserem Nachbarhaus war ursprünglich einmal die Privatschule „Scheffer-Schule“. Da war viel los in unserer unmittelbaren Nähe. Und dann war da immer mal wieder ein Wechsel der Besitzer. Als es dann 2011 hieß, dass das Haus leer stehe und neu vermietet werden solle,  wurden wir natürlich sehr neugierig.

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Und dann hörten wir: Da zieht eine Wohngruppe mit Kindern ein. Unsere Bedenken waren erst mal groß. Was heißt das für uns? Kriegen wir jetzt schwer erziehbare Kinder, die viel Blödsinn machen in unsere Nachbarschaft? Müssen wir uns Sorgen um unser Eigentum machen? Viele Fragen, die keiner beantworten konnte.

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Und dann passierte erstmal gar nichts. Nach Monaten des Wartens begann der Vermieter mit irgendwelchen Arbeiten. Aber Genaueres wussten wir auch nicht. Und dann kam eine „junge Frau“ (Renate Harms Tapken, meine ich), um nach dem Rechten zu sehen. Ich war gerade draußen im Garten und war gespannt, ob sie sich wohl vorstellt. Und tatsächlich, sie kam direkt auf mich zu, stellte sich vor, und teilte mir mit, dass sie mit „ihrer“ Kinderhilfsstelle in dieses Haus ziehen werde.

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Endlich hatte ich die Gelegenheit, meine Fragen zu stellen, meine Ängste und Sorgen mitzuteilen. Und das Tolle war: Ich bekam alle Antworten, die ich wollte. Sicher konnte sie mir nicht zusichern, dass es nicht mal ein Kind geben werde, welches über die Stränge schlägt, oder dass es auch wohl mal lauter werden könnte, wenn Kinder Streit miteinander haben. Aber was ich unheimlich gut fand, waren ihre
Worte: „Wenn irgendetwas ist oder Sie sich irgendwie gestört fühlen, kommen Sie bitte direkt rüber. Ich hoffe, dass sich die Situationen dann klären lassen.“ Das war der Beginn einer wundervollen Nachbarschaft.

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Also ich muss sagen, dass ich bestimmt genauso aufgeregt war wie die Kinder, als sie bei uns in die Straße einzogen. Und ich war ganz gespannt, was da wohl für Kinder einziehen. Der Kontakt war schnell hergestellt; ich halte mich viel draußen auf, kam ganz schnell in den Kontakt mit den Kindern und den Betreuern. Und Renate hatte recht: Es wurde wohl mal lauter (was ich nicht als unangenehm empfinde), aber die Kinder kriegten sich nie in die Haare. Die Betreuer haben das aber auch gut im Blick. Sie sind schnell da, klären die Situationen und ja, manchmal höre ich sie auch Schimpfen. Aber das ist eher selten.

Besonders gut fand ich, dass irgendwann eine Einladung ins Haus flatterte, und die Kinderhilfsstelle alle Nachbarn einlud, sich die Einrichtung anzugucken. Dies geschah an einem Vormittag, als die Kinder in der Schule waren. Es gab Tee, Kaffee und belegte Brötchen. Wir waren alle sehr begeistert über diese freundliche Begegnung. So hatten alle Nachbarn die Möglichkeit, sich zu informieren, Fragen zu stellen und Unsicherheiten zu beseitigen.

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Na ja, und es fliegen wohl mal Papierflugzeuge in unseren Garten, oder wenn die Kinder hinten spielen, fliegt der ein oder andere Ball über den Zaun. Aber dann kommen die Kinder, klingeln und fragen, ob sie sich den Ball wiederholen dürfen.

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Irgendwann kriegte ich mit, dass Renate ganz unzufrieden war. Ich sprach sie direkt darauf an. Sie teilte mir mit, dass es sie nervt, dass immer die Fahrräder kaputt sind, und sie die nicht andauernd reparieren kann oder will (was ich eher glaube). Ich bot ihr an, gerne die Räder mal zu kontrollieren und zu reparieren. Das Geld für die gekauften Ersatzteile bekomme ich auch jedes Mal erstattet. Wenn es möglich ist, sollen die Kinder mir gerne helfen, denn sonst lernen sie es ja nie selbst. Aber immer passt das auch nicht.

Es macht mir eine sehr große Freude, so aktiv am Geschehen der Nachbarn dabei zu sein. Die Kinder sind freundlich, freuen sich, ein tolles Zuhause gefunden zu haben. Und es ist einfach nicht so langweilig bei uns in der Straße. Die Kinder plauschen gerne mit mir. Wenn sie schon ankommen und fragen: „Du, Herr Nachbar, kannst Du mal mein Rad angucken, das fährt irgendwie nicht mehr so richtig“ – dann sag ich dem Kind, geh mal hin und hol das Rad, dann gucken wir uns das zusammen an. Schwupp, weg ist das Kind und kommt mit dem Rad wieder.

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Meist sind es nur Kleinigkeiten, die gemacht werden müssen. Aber es kommt auch wohl mal die ein oder andere Acht im Rad zu mir. Wenn ich dann nachfrage, wie das passiert ist, krieg ich meistens zur Antwort: „Das war ich nicht, dass war ein anderes Kind.“ Genauso waren wir doch auch früher!

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Auch die Betreuer gehen sehr liebevoll mit den Kindern, aber auch mit sich selber um. Wie oft hab ich schon gesehen, dass die sich zur Begrüßung oder zur Verabschiedung in den Arm nehmen, oder auf der Einfahrt miteinander lachen und sich freuen, dass es gerade so ist, wie es ist.

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Es ist toll mitzubekommen, dass die Betreuer den Kindern beim Inlinerfahren zugucken, dabei sind, wenn sie mit Hammer und Nägeln das Holz auf der Einfahrt bearbeiten und sie ganz mutig den Nagel festhalten, während das Kind vorsichtig mit dem Hammer hantiert. 

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An dieser Stelle kann ich nur sagen: Schön, dass die Kinderhilfsstelle dort neben uns eingezogen ist. Es ist immer was los, wir haben einen herzlichen Umgang miteinander und freuen uns, wenn wir uns sehen. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie es wäre, wenn sie nicht mehr da wären.

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Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen kleinen Einblick geben, wie wir uns als Nachbarn der Kinderhilfsstelle fühlen: pudelwohl!                 

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